Mit Abstand am Schönsten

JOURNAL 2021_09.

Mit Orten und Bauwerken verhält es sich manchmal so, wie wir es auch von menschlichen Begegnungen kennen. Der Besuch endet, wir nehmen Abschied und noch auf der Heimreise beginnt das Erlebte zu verblassen. Wie stark uns diese Momente in Erinnerung bleiben oder möglicherweise nicht mehr loslassen werden, hängt auch davon ab, was wir dabei empfunden haben.

Der Alltag, der unsere ganze Aufmerksamkeit verlangt, lässt uns einen begrenzten Raum für die schönen Dinge, die wir erlebt haben oder die abendfüllenden Gespräche, die wir mit Freunden in einer anderen Stadt genossen haben. Wir können natürlich nicht jedes Erlebnis regelmäßig aus unseren Erinnerungen abrufen, umso schöner, wenn manches ganz automatisch wieder hervorkommt und auf diese Art ganz dezent erneut um Beachtung bittet.

Die schönen Dinge kommen immer wieder 

Wie sehr uns manche Begegnungen prägen, wird uns oft erst später bewusst. Unser Gefühl kann ein verlässlicher Begleiter sein, wenn es darum geht, sich an Momente zu erinnern, die uns gut getan haben. Das können sogar Bauwerke in uns auslösen. Für uns ist die Neue Nationalgalerie in Berlin ein solcher Ort. 

Zu einer Zeit, in der wir viele Entscheidungen getroffen haben, besuchten wir das in der Sanierung befindliche Museum zum ersten Mal. Vielleicht war es der Zustand der Veränderung, der uns für die Wirkung des – mit Bauzäunen abgesperrten – Gebäudes empfänglich machte. Jedenfalls zog es uns noch mehrere Male zu der Baustelle mitten in Berlin.

Jeder Abschied wurde mit der Vorfreude auf all das versüßt, was in der Zeit bis zum nächsten Besuch wieder fertiggestellt sein würde. Gleichzeitig wuchs die Spannung auf die erste Begegnung mit dem Innenraum. In unserer Vorstellung malten wir uns aus, wie sich uns der umgekehrte Blick – die großen Fenster hindurch – aus dem Gebäude heraus bieten würde.

Mies van der Rohe Neue Nationalgalerie in BerlinDetailansicht Dach Neue Nationalgalerie

 

Finale mit Wehmut

Die Verwandlung der Neuen Nationalgalerie fand mit der Eröffnung im August 2021 ihren offiziellen Abschluss. Die Bauzäune wurden entfernt und noch vor ihrer Eröffnung war sie Ziel vieler Neugieriger Die 6-jährige Sanierung, die wir später auch im Innern bewundern wollten, erwies dem Gebäude einen Respekt, der bereits auf der Baustelle zu beobachten war. Mit der Wiedereröffnung schien auch die Aussage verbunden, dass es gelingen kann und Ziel sein darf, bestehendes zu bewahren und gleichzeitig neue Akzente zu setzen. Wir verfolgten fast ein wenig wehmütig, dass das Gebäude wie wir es kennengelernt hatten, nun in den Museumsbetrieb wechselte. 

Es dauerte Monate, bis wir uns zu einem Besuch aufmachten.

Treppen Eingang Neue Nationalgalerie Berlin Mies van der RoheAlexander Calder in der Neuen Nationalgalerie in Berlin

 

Das Ende ist ein neuer Anfang 

Unsere Freude war daher groß, als wir während unseres ersten Museumsbesuchs altvertraute Gefühle empfanden. Die persönliche Beziehung, die wir während der letzten Bauphasen zu unserem „Lieblingsbungalow” aufgebaut hatten, setzte sich im Innern ganz unkompliziert fort. Das Beschreiten der weitläufigen Treppen und das Betreten der Halle bereitete uns Vergnügen. Das nun frischsanierte Bauwerk schien uns mit jedem Winkel, den wir entdeckten sagen zu wollen, dass unsere Erinnerungen, im Innern auf keinen Widerspruch treffen. Erst Tage nach dem Besuch spürten wir, dass uns nun mit diesem altbekannten Ort neue Erinnerungen verbanden. Das großzügige Raumgefühl und natürlich die Präsenz der Exponate, ergänzten nun die Nähe, die wir zu dem Gebäude aufgebaut hatten. Und zu alledem gab es einen großen Vorteil: Nun, im nahenden Winter, würden wir diesen Lieblingsorte im Warmen genießen können.